1939 – 1945

Auch über diesen Zeitraum lassen wir die Schulchronik zu Wort kommen. Wir lesen in den Aufzeichnungen zunächst von Lehrer Josef Weitzel:

Die Blätter der bei meinem Dienstantritt vorliegenden Schulchronik sind gefüllt. Sie beginnen mit dem Jahre 1881. Drei Lehrer waren bis zu meinen Tagen hier tätig: vom 1.4.1830 bis 1.12.1886 Volpert Jüngst. Er stammte aus Anzefahr und war wohl der erste ausgebildete Lehrer des Dorfes. (2 1/2 Jahre im Seminar zu Marburg). 1.2.1887 bis 1.4.1923 Heinrich Lotz – er ging in Pension. Vom 1.4.1923 bis 17.1.1934 Joseph Höck - er ist hier gestorben und beerdigt worden.

Die Schule besuchen z. Zt. (1939) 52 Schüler. Für das erste Schuljahr ist eine neue Fibel eingeführt. Zur Einbringung der Ernte fehlt es an den notwendigen Arbeitskräften. Man setzt darum Reichsarbeitsdienst ein. Eine Abteilung von 30 Mann wird in dem Saale des Gastwirtes Pfeffer untergebracht. Da bei Abschluss der Sommerferien trotzdem noch der grösste Teil der Ernte auf dem Felde steht, kann auf behördliche Anordnung hin die Oberklasse der Landschulen in der Zeit vom 13. bis 19. August zur Arbeit eingesetzt werden.

Am politischen Horizont steigen düstere Wolken auf. Am 26. August morgens gegen 4 Uhr erfolgt in Anzefahr die Zustellung der ersten Einberufungen. Es folgen ihr 10 Männer:

Konstantin Bechthold, Karl Dauzenroth, Konrad Böttner, Ferdinand Feussner, Peter Hühn, Heinrich Kissling, Heinrich Kremer II., Joseph Kremer, Joseph Weitzel, Ferdinand Weitzel.

Nach einigen Tagen folgen noch:

Karl Kissling, Paul Nahrgang (Knecht aus Niederklein) und Heinrich Schold.

Im aktiven Dienst stehen z. Zt. 11 Männer.

Am 27. August werden 6 Pferde an die Militärverwaltung geliefert. Um lebenswichtige Dinge gleichmässig auf die Bevölkerung zu verteilen, werden am 27. August Lebensmittelkarten ausgegeben, die ab 28. August gelten. Am 28. August tritt eine Zugbeschränkung ein: in Richtung Frankfurt-Kassel verkehrt jeden Tag 1 Zugpaar. Am Abend des 28. August treffen Verwandte des Bauers Johannes Lauer aus Saarbrücken kommend hier ein.

Am 31. Oktober bezieht eine bespannte M.G. Kompagnie, die aus Polen kommt, hier Quartier. (200 Mann u. 65 Pferde). Wie im letzten Kriege wird hier im Saale des Gastwirts Kissling ein Lager für Kriegsgefangene eingerichtet, die tagsüber bei den Bauern schaffen. Für die Bedürfnisse der Wehrmacht muss das Dorf: 300 Ctr. Heu, 654 Ctr. Hafer u. 400 Ctr. Kartoffeln liefern. Das Thermometer sinkt in den Tagen vom 19.-27. Januar 1940 auf –29, sogar –31 Grad Kälte. Am 6. Mai 1940 trifft die erste Trauerbotschaft im Dorfe ein. Der Sohn des Schmiedemeisters Konrad Lauer – Peter – ist vermisst. Vom 9. zum 10. Juni ist eine Pionierkompagnie, die aus Frankreich zurückkehrte, hier einquartiert.

Es folgen immer wieder die Namen der Gefallenen, so wie z. Bsp. unter dem 12. Juli 1943:

... verunglückt tödlich Berta Lauer, Tochter des Ludwig Lauer, die in Lublin (Polen) als Schwester des Roten Kreuzes tätig war. Sie ist das zweite Kriegsopfer der Familie.

Die Chronik fährt fort und wir lesen unter dem 22. Februar 1944:

In den Nachmittagsstunden des 22. Februar erfolgt ein Luftangriff auf Marburg. Gegen 15.17 Uhr fallen 9 Bomben in das Gelände zwischen Amöneburg und Mardorf. Sekunden darauf fallen die Bomben auf Marburg. Hauptsächlich das Klinikviertel ist getroffen. Neben Sachschaden sind etwa 100 Tote zu beklagen. Von Anzefahr wurde 1 Arbeiter leicht verletzt.

Lehrer Weitzel schreibt über das Schuljahr 1944/45:

... Am 5. Dezember – ½ 10 Uhr Abends – wird das Dorf durch eine heftige Explosion erschüttet. Eine Sprengbombe ist auf die "Brückwiese" (Wiese zwischen Bahngeleise u. Schönbacher Brücke) geworfen worden. Hunderte von Brandbomben sind gefallen – fast alle ausserhalb des Dorfes. Die Scheune des Landwirts Heinrich Kissling brennt nieder. Am nächsten Morgen zeigt sich die Wirkung der Sprengbombe; nicht ein Haus ist unbeschädigt. Die Dächer sind z. Teil abgedeckt oder verschoben, Türen und Fenster herausgerissen – Scheiben und nochmals Scheiben zersplittert. Der Schulsaal wird die Werkstatt der Glaser: 4 Leute arbeiten dort 5 Tage.

... Am 22. Februar 1945 wird zwischen Anzefahr u. Kirchhain ein Munitionszug von Flugzeugen beschossen. Der Zug gerät in Brand – die Munition explodiert nach und nach.

... Am 28. März treffen in Anzefahr deutsche Truppen (Infanterie) ein. Sie gehen durch das Dorf in Richtung Betziesdorf-Cölbe. In der Nacht zum 29. März hat sich auch hier ein schwacher Zug Infanterie – der Bahn entlang festgesetzt. Am Morgen des 29.3. – es ist Gründonnerstag – rollen gegen 7 Uhr amerikanische Panzer aus Richtung Großseelheim – Schönbach an. Panzer und nochmals Panzer. Die deutsche Infanterie eröffnet mit ihren unzulänglichen Waffen gegen 7.20 Uhr das Feuer. Die Amerikaner nehmen sofort die Bahnlinie – sodann auch das Dorf unter Feuer. Lage auf Lage schlägt in das Gelände und das Dorf. Die Bewohner hatten sich längst in die Keller geflüchtet – einige Familien waren sogar in der Nacht nach Sindersfeld geflohen. In einer Feuerpause verlässt man die Keller, um nach Hab und Gut zu sehen. Es brennt im Dorfe. An ein Löschen ist nicht zu denken – der Beschuss setzt wieder ein. Nach ungefähr 2 Stunden schweigt das Feuer endgültig. Welches Bild bietet sich uns dar. Die Gehöfte: Witwe Feussner, Joseph Schold, Witwe Theresia Weitzel, Peter Hühn u. Joseph Herche brennen – an einzelnen Gebäuden: das Pfarrhaus, der Stall bei Peter Bodenbenner, Scheune u. Stall bei Joseph Lauer und Joseph Hühn. Löschen ist unmöglich. Beträchtliche Teile des Inventars, der Vorräte verbrennen – bei Feussner das gesamte Rindvieh, bei Lauer fünf Pferde. Nur ganz wenige Gebäude des Dorfes sind unbeschädigt. Auch die Schule ist beschädigt – sie hat nur noch 3 ganze Fenster, die Kirche hat einen Granattreffer im Dachstuhl, die Fenster der Südseite sind z. Teil zerstört, das grosse Kreuz neben der Kirche liegt in Trümmern. Am Abend setzt das Feuer wieder ein – Richtung Bürgeln liegen die Einschläge. Während des Kampfes fiel auf deutscher Seite ein Soldat(er wurde hier beerdigt), zwei wurden verwundet.

 

Das Kriegerdenkmal, auf dem alten Friedhof, mahnt uns den Soldaten mit den Worten zu gedenken:

 

"Im Opfertode Christi geborgen leben Sie in Herrlichkeit"

Unsere Vermissten 1939 – 1945

Ferdinand Feussner 1914 28.01.1942

Johann Meister 1908 26.12.1942

Hugo Ostheim 1908 25.12.1942

Josef Lauer 1910 10.01.1943

Peter Bauerbach 1920 06.04.1943

Josef Kaczmarek 1924 28.05.1943

Aloysius Kaczmarek 1923 31.07.1943

Peter Weitzel 1922 03.03.1944

Hans Büdscheid 1909 25.01.1945

Franz Gutwald 1911 12.02.1945

Konrad Sprenger 1903 04.03.1945

Karl Kissling 1910 25.03.1945

 

Unsere Gefallenen 1939 - 1945

Peter Lauer 1920 20.03.1940

Peter Bruno Lauer 1908 05.08.1941

Heinrich Weitzel 1919 08.09.1941

Josef Weitzel 1914 01.07.1942

Aloysius Freidhof 1921 26.08.1942

Heinrich Kissling 1922 16.04.1943

Franz Knie 1923 26.04.1943

Josef Hühn 1922 06.07.1943

Berta Lauer 1923 12.07.1943

Karl Feussner 1912 30.09.1943

Ferdinand Feussner 1919 15.10.1943

Karl Spill 1924 28.10.1943

August Schüssler 1912 23.11.1943

Heinrich Kremer 1909 30.11.1943

Fridolin Weitzel 1919 01.03.1944

Alfred Rambausky 1903 10.07.1944

Karl Heinze 1916 01.08.1944

Johannes Schüssler 1924 20.10.1944

Peter Feussner 1924 06.11.1944

Rudolf Böttner 1925 18.11.1944

Heinrich Schüssler 1914 18.12.1944

Paul Bauerbach 1926 26.12.1944

Peter Emmerich 1920 23.02.1945

Franz Thiel 1922 09.04.1945

 

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