Die "katholische Tracht" in unserer Gemeinde

Im Juli 1949 schrieb Kunigunde Weitzel eine 70-seitige Ausarbeitung mit dem Titel: "Herkunft und Wandel, Leben und Sterben der Tracht meines Heimatdorfes". Sie versuchte in ihrer Arbeit die geschichtlichen Hintergründe der Tracht aufzuzeigen aber auch das Verhältnis der Tracht zu den kirchlichen und weltlichen Feiertagen zu erläutern. Ihre Arbeit endet mit einem "Ausblick in die Zukunft", indem sie erahnt, dass die Tracht in Anzefahr einmal vollständig verschwinden wird. Wir veröffentlichen hier einen Auszug aus der Arbeit von Frau Weitzel:"In den Gemeinden der Pfarrei Anzefahr wird die "katholische Tracht" getragen. Wesen einer Tracht ist, daß sie Gemeinschaftsgut einer Gruppe von Menschen ist, mit gleicher Lebensart- und form, die sie durch Generationen hindurch weiter vererbte. Durch lange Zeiten hat die "katholische Tracht" ihre kräftigen Formen und ihre Liebe zu lebhaften Farben bewahrt, die der Art der Menschen entsprechen. Die katholische Tracht knüpft damit an die Welt des Barock an, von dem ihr Erscheinungsbild seine Ausprägung erhielt. Sie ist geformt von einem Leben der Arbeit und Feier. Die bäuerlichen Trachten, so wissen wir heute, sind abgewandelte Formen bürgerlicher Moden. In Schnitt, Verarbeitung, Stoff und Farbe wurden sie dem bäuerlichen Leben angepaßt. Während aber die bürgerlichen Moden sich weiterentwickelten und in ihren Grundformen sich wandelten, ist die aufs Land abgewanderte Tracht in ihrer Grundform gleichgeblieben und wandelte sich nur in unwesentlichen Teilen, in Schmuckformen und im Material.

Wir möchten aber sagen, daß ein eigenständiges Leben der bäuerlichen Trachten erst seit dem 16. Jahrhundert sich entwickelte, damals nämlich, als Rock und Mieder das ungeteilte Kleid ablösten. Diese Teilung bedingt die Grundformen aller Volkstrachten in Rock, Mieder und Schürze. Wir möchten hier gleich ein Trachtenstück anführen, das wohl seit 60 Jahren (von 1949 an gerechnet) in Anzefahr ausgestorben ist – nur alte Grabsteine zeugen noch davon:

"das Trauermäntelchen." Es ist ein kreisrund geschnittenes Tuch, das dicht in Falten über den Kopf gelegt wurde, sein oberer Rand ist in einem Bund zusammengefaßt.

Aus dem 16. Jahrhundert stammen auch die "Zwickelstrümpfe" der katholischen Tracht.

Eine starke Wandlung erfuhr die "katholische Tracht" im 19. Jahrhundert unter dem Einfluß der "Fuldaer Tracht". Von ihr übernahm sie die gestrickte Jacke, gestrickte und gehäkelte Halstücher, das Kopftuch und vor allem den Kranz der Kommunionkinder und die Brautkrone. Der alte Brautschmuck, das "Beggelestche" wurde zur Tracht der Brautjungfern und erhielt sich in dieser Form bis heute.

Als das Kopftuch der "Fuldaer Tracht", die Kappe der "katholischen Tracht" verdrängte, änderten die Bäuerinnen auch ihre Haartracht. An die Stelle der "Buffanke" trat der geflochtene Haarkranz.

Zur vollständigen Tracht gehören: Hemd, Leibchen, 1 – 3 Röcke, Halstuch, Jacke, Schürze und Kopftuch, Strümpfe und Schuhe. All diese Teile, bis auf das Kopftuch, werden im Dorf selbst hergestellt, zum Teil von den Frauen selbst, meistens aber, und dies gilt vor allem für die Festtagstracht, von einer Näherin.

Es ist Eigenart der Tracht, daß sie eine bestimmte Ordnung der Farben aufstellt, einmal im Hinblick auf die Rangordnung der Feste, dann aber auch als Kennzeichen des Alters und des Standes. Gerade dies ist die besondere Ausprägung des Bäuerlichen in Anzefahr, daß sich immer wieder das Weltliche und das Religiöse in der Tracht begegnen.

Die Grundfarben rot, grün, blau, violett und schwarz verteilen sich in ihrer farblichen Abstufung ziemlich genau auf die verschiedenen Lebensalter. Rot, als leuchtendste der Farben, gehörte vor allem den Kindern, man findet es aber auch in der Jungmädchentracht. Farben der Verheirateten sind grün und blau. Den jungen Frauen gehört vor allem das Grün. Ältere Frauen tragen ebenfalls grün, aber auch viel blau und späterhin violett, untermischt mit schwarz, bis schließlich bei den Greisinnen alle Trachtenteile in mattem Schwarz erscheinen.

Nach den Aussagen von Bäuerinnen klingen in der Farbordnung der Tracht an den Festtagen und Sonntagen die liturgischen Farben an. Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Fronleichnam sind die höchsten Festtage – auch in der Tracht. An den ersten Feiertagen beherrscht den Kirchenraum das Grün der Festkleidung. Die jüngsten Mädchen und ältesten Frauen sind an diese Ordnung nicht gebunden. Den Kindern ist auch am ersten Feiertag rot gestattet. Bei den älteren Frauen herrscht mehr und mehr schwarz vor.

Am zweiten Feiertag der Feste zeigt sich die Tracht in lebhaften Farben. Im Gottesdienst leuchten die Röcke der Kinder in hellem blau–grün. Zur Tracht der Jungmädchen gehört am zweiten Feiertag der graue, "mäusfahle" Rock aus weichem Tuch, besetzt mit hellblauem breiten Seidenband und blau-buntem Taftband.

Die Frauen tragen am zweiten Feiertag vielfach einen grünen oder braunen Wollbiberrock mit doppeltem grünen oder blauen Band, die ältesten aber zeigen wieder ihr Schwarz.

Am Nachmittag der Feste sehen wir die Mädchen im grünen Tuchrock mit doppeltem roten Seidenband. Halstuch und Schürze sind im Sommer aus heller Seide, die Jacke aus blauem oder grünem Plüsch. Im Winter aber werden die Farben dunkler gewählt und das Halstuch ist gestrickt.

Zur festlichen Tracht an beiden Tagen gehört der blaue oder violette Strumpf, der in sich gemustert ist.

An den einfachen Festtagen wie: Drei Könige, Christi Himmelfahrt, Allerheiligen läßt das Ordnungsgesetz dem Einzelnen größere Freiheit in der Wahl der Farben und Stoffe. Im morgendlichen Gottesdienst tragen die Frauen und Mädchen grüne oder schwarze Röcke ... besetzt mit grünen oder blauen Bändern, von denen jeweils das untere buntgeblümt ist.

Den gewöhnlichen Sonntagen gehört der Wollbiber oder Beiderwandrock in schwarz, dunkelgrün oder violett.

Zum Werktagsgottesdienst kommen die Frauen und Mädchen im Sommer in blauen oder grünen Leinenröcken mit einem einfachen Band aus Wolle oder Baumwolle.

In der Rangordnung der Festtage steht der Kirmessonntag auf gleicher Stufe wie die ersten Feiertage, es werden also die besten Trachtenstücke angelegt.

Für das Jahr 1930 gibt R. Helm noch 73 % Frauen in Tracht in Anzefahr an, es ist dies damals schon ein niedriger Prozentsatz. Das Dorf steht mit ihm an zweitletzter Stelle unter den Dörfern der "katholischen Tracht". Heute (1949) tragen die Tracht noch 62 % der weiblichen Bevölkerung. Jedoch von den Sechs- bis Dreißigjährigen nur noch 45 %. In der Schule von Anzefahr tragen die Tracht heute noch 41 % der Mädchen, 1934 waren es vergleichsweise noch 68 %. In der gesamten Unterstufe gibt es heute noch zwei Kinder in Tracht – und sie werden wohl auch die letzten sein.

Die "katholische Tracht", die sich durch Jahrhunderte entwickelt und entfaltet hat, stirbt."

Soweit der Auszug aus der Arbeit von Frau Kunigunde Weitzel aus dem Jahre 1949.

Wenn wir uns heute in unserem Dorf umsehen, so finden wir nur noch wenige ältere Frauen, die Tracht tragen.

 

 

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